top of page
  • Wolfgang Roters

Baukultur NRW: Digitales Treffen der Bauaktuer*innen in Nordrhein-Westfalen am 25. November 2020

Aktualisiert: 10. Feb. 2021

Fünf Impulse wurden quer durch NRW gesetzt. Wir waren dabei.


Wolfgang Roters: Baukultur neu denken

Wir lernen in Corona-Zeiten einiges über die Pandemie. Viel mehr aber über uns, über unsere Gesellschaft und über unsere Städte, in denen wir leben. Wir leben in Lern-Zeiten.

In einem Lern-Labor.

Schaut man sich die Fachliteratur an, auch die großen Blätter dieses Landes, dann weiß man:

Es ist lange nicht mehr so intensiv über Architektur, Städtebau, Baukultur und Stadtplanung nachgedacht worden wie heute. Das ist eine Chance, wie es sie lange nicht mehr gab.

Ich bin sehr froh darüber, dass ein maßgeblicher Akteur dabei die Baukultur NRW ist. (Kompliment!...)

Ein anderer ist beispielsweise das BDA-Denklabor mit dem Titel: Don´t waste the crisisVerschwenden wir die Krise nicht! Ich halte das für einen ganz wesentlichen Appell.

Nutzen wir unbedingt dieses Lernlabor.

Sehen wir zu, dass wir nach der Krise nicht wieder in den alten Trott zurückfallen. Reset! Neustart!

Darüber will ich mit Ihnen reden. Reset allgemein. Neustart bei Planung und Baukultur.


Für uns wäre es ein großer Gewinn, wenn von dieser Konferenz nicht nur ein allgemeiner Appell für Baukultur ausginge – so wichtig das ist. Sondern auch ein Impuls für konkrete Projekte, auch für unser Düsseldorfer Projekt Breidenplatz. Wir, unsere Initiative, kämpfen gegen Intransparenz, Banalität, Einfallslosigkeit, Missachtung des Bürgerwillens und Vernachlässigung des öffentlichen Raumes, kurz: gegen eine allein investoren- und renditegetriebene Planung.

Wir kämpfen für Baukultur.

Das Projekt, von dem ich berichten will, ist ein relativ kleines. Aber es zeigt wie unter einem Brennglas, wie durch gegenwärtige Praxis Baukultur zerstört wird und – auf der anderen Seite – welche Chancen sich für Baukultur auftun, wenn man beginnt, zu lernen.

Manchmal zeigt der Blick auf das Kleine, viel plastischer, um was es wirklich geht, als der generelle Diskurs, so wichtig auch der ist. Also lade ich Sie zu einem Zoom ein. Zoom nach Düsseldorf, Zoom in Düsseldorfs Südosten, Zoom in den Stadtteil Unterbach.


Der Breidenplatz ist das Herz dieses Düsseldorfer Stadtteils. Unterbach ist ein Stadtteil mit etwa 8.000 Einwohnern. Weitgehend dörflicher Charakter mit einer im städtischen Vergleich geringen Bevölkerungsdichte von etwa 850 Einwohnern pro Quadratkm.


Der Breidenplatz ist zentraler Begegnungs- und Einkaufsort mit Dienstleistungen wie Ärzten, Sparkasse und Bücherei. Ich spiele dort gern Fußball mit meinen Enkelkindern. Ab und zu landet der Ball bei Müttern und Vätern, die dort ihre kleinen Kinder auf dem Arm haben. Und ab und zu wird der Ball von 14jährigen jungen Menschen zurückgespielt, die dabei sind, den Breidenplatz für sich zu erobern. Der Breidenplatz ist gesellschaftlich enorm vital. Ökonomisch noch nicht.


Daran direkt angrenzend eine riesige „Hundewiese“ von 15000qm. Für diese Fläche, die seit jeher einer Unterbacher Familie gehört, gibt es seit 40 Jahreneinen Bebauungsplan, der bis heute nicht realisiert worden ist und heute auch nicht mehr realisiert werden kann. Die Stadt hat sich geweigert, diesen B´Plan aufzuheben, was möglich gewesen wäre.

Stattdessen ist die Planung durch die Eigentümer weiterentwickelt worden: verdichtet mit noch mehr Wohnungen (130 Einheiten), dazu ein Einzelhandel (Vollsortimenter).

Dies alles ohne wirkliche Beteiligung der Unterbacher Bevölkerung.

Reine Investorenplanung. Kein Wettbewerb. Marginale preisgünstige Wohnungen.


Zu befürchten: Radikale Veränderung des zentralen Breidenplatzes

Initiative aus der Bevölkerung: städtebaulicher Workshop anstelle einer Partizipation durch die Stadt. Große Beteiligung. Eine Vielzahl von konkreten Ideen und Anregungen.

Sind dem Planungsamt übergeben worden – nur kosmetische Änderungen.


Was heißt Neudenken von Baukultur, Städtebau und Architektur?

Umdenken heißt für mich zunächst: Wir müssen die Reihenfolge der Planung ändern. Nur dann kann sich Baukultur überhaupt entfalten und durchsetzen! Wir müssen den Planungsprozess im Sinne der Baukultur ändern. Planung wieder vom Kopf auf die Füße stellen:

Statt die Investoren mit ihren Architekten und Immobilienspezialisten und Banken eine Maximierung der Rendite planen zu lassen, was dann in mühsamen Kompromissrunden halbwegs tauglich gequetscht wird, muss die öffentliche Hand zunächst einmal transparent und unmissverständlich sagen, was ihr unverzichtbar wichtig ist. Das ist der Rahmen, in dem sich Eigentümer, Investoren, Architekten und Banken dann austoben können.

Im Übrigen schreiben unsere kommunale Verfassung und unser Bauplanungsrecht das sogar vor. Realität ist es leider nicht!


Ich will in aller Kürze 7 Rahmenbedingungen skizzieren, die die öffentliche Hand zu Beginn des Planungsprozesses zwingend setzen muss. Dazu gehört aus meiner Sicht:


1. Der Planungsprozess muss von Anfang an transparent gestaltet werden. Es muss aufhören, dass Investoren jahrelang – in Unterbach 4 Jahrzehnte lang trotz gültigen B`Plans - unter Ausschluss der Öffentlichkeit planen, umplanen, auf bessere Renditen warten und die Grundstücke dann vielleicht auch noch gewinnbringend verkaufen, was den Druck auf höhere Gewinnmargen zulasten der öffentlichen Interessen erhöht.


2. Der öffentliche Raum muss als allererstes definiert und gesichert werden.

Ausnahmezustände wie Corona demonstrieren in besonderer Weise den Unterschied, ob man mit Kindern in einer kleinen Wohnung ohne Grünflächen und Spielraum lebt oder in größeren Wohnungen mit Garten. Wohnnahe öffentliche Flächen machen das Leben erträglicher, deren Fehlen wird zur Qual.

Das heißt: Wir müssen jede bauliche Entwicklung zuerst vom öffentlichen Raum, von der Aufenthaltsqualität, von Kinderspielplätzen und von Begegnungsorten her denken. Wir brauchen Strategien für öffentliche Räume, für das Wohnumfeld. Wir müssen öffentliche Räume fit machen. Das sind auch die Orte, die bürgerschaftliche Identität herstellen und nicht zuletzt auch ökonomische Kundenbindung erlauben. Das muss der Ausgangspunkt für jede räumliche Planung werden.

In Unterbach droht der Breidenplatz seiner DNA beraubt zu werden. Er ist heute der kommunikative Mittelpunkt des Ortes und wird nach den Investitionen seinen Charakter verlieren: eingeengt, ja eingekesselt, verschattet, verlärmt. Aus Großzügigkeit wird Beschränktheit, aus einem urbanen Platz wird ein reiner Funktionsraum. Kinderspielplätze werden an den Rand gedrängt.


Ebenso zu Beginn müssen im Interesse der Bürger und Bürgerinnen einwandfrei die verkehrlichen Rahmenbedingungen für geplante Investitionen geklärt werden: Was geht und was geht nicht – und wie geht es? Die Stadtplanung muss aufgrund qualifizierter Verkehrsanalysen „vor“-geben, nicht „nach“-geben - wie viel neu gebaut, was neu gebaut und unter welchen Umständen neu gebaut werden darf. Das ist die zentrale Aufgabe und Pflicht der Stadtplanung und nicht ein lästiger Auftrag der Investoren an private Verkehrsgutachter. Viele Städte – Vorreiterstädte wie Kopenhagen, Barcelona oder Paris - machen heute überzeugend vor, wie eine verantwortungsvolle quartiersbezogene mobility challenge funktioniert: Stadt der kurzen Wege, 15-Minuten Stadt und wie die Projekte alle heißen. Wohin mit dem ruhenden Verkehr? Der Verkehr ist der Schlüssel zu allem, nicht eine Quantité négligeable. In unserem Unterbacher Projekt ist zunächst nur baulich geplant worden. Bisher liegt kein qualifiziertes und überzeugendes Verkehrsgutachten vor. Jetzt wird versucht, passend zu machen, was nicht zusammen passt.


Bürgerbeteiligung ist unabdingbar, und zwar nicht nur formale, sondern substantielle. In Unterbach hat die Interessengemeinschaft, weil die städtische Planung hier versagt hat, einen äußerst gut besuchten und sehr anregenden Workshop mit Unterbacher Bürgern organisiert – sozusagen eine Ersatz-Werkstatt. Ich hätte nie gedacht, dass so viele und gute, auch überraschende Anregungen eingebracht werden. Die sind allesamt der Planungsverwaltung übermittelt worden. Außer kosmetischen Änderungen Fehlanzeige!


3. Die Stadt wird eine andere. Noch arbeitet jeder Zehnte der 32 Millionen Bürobeschäftigten in Deutschland mehr oder weniger regelmäßig zu Hause. Dieser Wert wird sich vervielfachen. Apps mit Konferenzprogrammen wie diesen unseren hier können langfristig einen ähnlichen Effekt auf den Bedarf an Büroflächen haben, wie ihn Onlinebestellungen auf den Einzelhandel haben. Ganze Bürotrakte sind heute schon mehr oder weniger verwaist. Die Masse an Büroagglomerationen und die bisherige Art und Intensität der städtischen Mobilität könnten tendenziell Auslaufmodelle werden; Parkhäuser, Parkplätze, viele Straßen könnten die neuen Ruinen und Brachen werden. Und immer noch werden gewerbliche Einheitsarchitekturen am Fließband produziert für Bedarfe, die es in Zukunft immer weniger geben wird; wird eine Autoinfrastruktur immer weiter ausgebaut, wo doch eher wieder öffentliche Räume, Platz für Kinder und Raum für Radfahrer und Fußgänger benötigt werden. Und werden monofunktionale Stadtquartiere ausschließlich für das Wohnen geplant und gebaut, wo Multifunktionalität gefragt ist.

Für uns Unterbacher heißt das: es braucht keine uniforme Fließbandarchitektur, sondern maßgeschneiderte Architektur für ortsspezifische Bedarfe. Die muss man kennen und die muss man bedienen.

Damit hängt zusammen: Reine Wohnquartiere sind etwas von gestern. Quartiere sind lebendige Vielfalt von Nutzungen, Funktionen und Bedürfnissen. Intelligentere Architektur wird benötigt. Wie wenig traditionelle Stadtplanung, Wohnungsbau und Architektur zu den neuen Familienformen passen und zu neuen gesellschaftlichen Gemeinschaftsformen, zu Homeoffice und Homeschooling, erlebt die städtische Gesellschaft täglich. Das bedeutet Architektur auf der Höhe der Zeit und Planung auf Augenhöhe der Bewohner.

Wir brauchen den lebenswerten produktiven Stadtteil. Öffentliche Planung muss weiter denken als räumliche Planung, Sie muss strategische Planung werden. Sie muss die Stadtquartiere in ihrer Daseinsvorsorge im Blick haben: Insolvenzgefahr der kleinen Anbieter in Online-Zeiten frühzeitig erkennen, leergefallene Läden aufkaufen mit revolvierenden Fonds, Diversität ermöglichen, Robustheit schaffen, Resilienz erzeugen. Für mich ist das die eigentliche Stadtbaukultur. Das geht nicht ohne Netzwerkinitiativen wie den unseren in Unterbach.

Keine Planung ohne Wettbewerb

Das ist eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich. Wettbewerb produziert Wissen, ermöglicht Denken in Alternativen, schafft Narrative der Begeisterung in der Bevölkerung und bringt einen Schuss Kultur des Experimentierens in die öffentliche Diskussion. Unabdingbar und unverzichtbar! Was passiert, wenn man auf Wettbewerbe verzichtet, zeigt leider der Unterbacher Breidenplatz.

Es muss uns in und nach dieser Pandemie mehr und anderes einfallen, als einen 40

Jahre alten Bebauungsplan einfach zu verdichten und zur Gewinnmaximierung noch einen Vollsortimenter einzubauen,

/ so zu tun, als hätten sich das Arbeits- und Wohnverhalten in den 4 Jahrzehnten

nicht geändert und damit die Anforderungen an Architektur und Städtebau,

/ zu ignorieren, dass ein produktiver Stadtteil heute viel bunter, differenzierter und

lebendiger ist

/ und schließlich den zusätzlichen Verkehr einfach unkritisch fortzuschreiben.


Wir leben in Lern-Zeiten. In einem Lern-Labor. Wir müssen lernen.


Mehr zu Baukultur NRW über https://baukultur.nrw



93 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page